Wir schreiben Pfingsten im Jahr des Herrn 1128, ein Tross mit unzähligen Pferden und reich beladenen Wagen rumpelt über die unbefestigten Wege Vorpommerns, von Havelberg kommend langsam in Richtung Usedom. Allen voran in prächtigem Gewand und Rüstzeug der Bischof Otto von Bamberg. Im Gepäck: sein christlicher Glaube – und der feste Entschluss, die bisher unbezähmbaren Heiden von Vorpommern zu missionieren, und zwar ohne das Schwert zu benutzen.
Archäologen und Historiker sind sich heute sicher, Wolgast war einst ein heiliger slawischer Ort
Wir befinden uns in Wolgast und schauen in die Zeit zurück. Auf derselben Stelle, wo heute die St. Petri-Kirche steht, befand sich in vorchristlicher Zeit einer der größten Haupttempel der heidnischen Götter. Der slawische Hauptgott von Wolgast war Gerovit (Jarowit), der Gott des Krieges. Das Standbild des Gottes im Tempel war eine stolze Kolossal-Statue, die aus grobem Holz geschnitzt und mit einem Schwert umgürtet war. Ein goldenes Heerschild von ungewöhnlicher Größe hing an der Wand. Kein Sterblicher durfte dieses je berühren. Nur der Oberpriester trug ihn voran, wenn es in den Kampf ging. Das gab den Kriegern die Zuversicht des Sieges. Legenden sagen, dass Haithabu die größte Handelsstadt der Wikinger zweimal von Slawen aus Vorpommern niedergebrannt und geplündert wurde. Der zweite Hauptgott war Barovit, der Gott des Friedens und der Fruchtbarkeit. Er war dargestellt als eine Holzfigur mit fünf Gesichtern. Außer diesen beiden Götzen verehrte man noch in einem kleinen Tempel auf dem Ziesaberg die Göttin Ziese (Ziesa), die Beschützerin der Seefahrer und Fischer. Man hatte sie aus Holz gefertigt und mit einer hellblauen Gewandung versehen. Auf ihrem Haupt thronte ein silberner Halbmond, ein weißer Schleier umhüllte die Gestalt, an der eine Riesenharfe lehnte. Ihre rechte Hand hielt ein Füllhorn, ihre linke ein Schiff. Mit zäher Standhaftigkeit hingen die heidnischen Wolgaster an ihren Götzen, und ihre Priester waren eifrig bemüht, sie im Glauben zu erhalten und dem eindringenden Christentum größten Widerstand entgegenzubringen. Aber der Bischof Otto von Bamberg war ein raffinierter Zeitgenosse und ahnte, was ihm in Wolgast bevorstand. Im Folgenden geben wir eine Geschichte wieder, die Chronisten des Bischofs niedergeschrieben hatten. Es kann sich tatsächlich so zugetragen haben.
Hoch über der slawischen Siedlung Wolgast und der Fürstenburg befand sich auf einem Berg einer der größten slawischen Tempel im heutigen Vorpommern. (siehe Bild)
Otto von Bamberg bekehrt die Wolgaster
Als der Bischof nach vier Jahren zum zweiten Male nach Pommern kam, um den christlichen Glauben dort, wo er während seiner Abwesenheit zu schwanken angefangen hatte, von Neuem zu befestigen. In anderen Gegenden von Vorpommern aber, wohin er bisher noch nicht vorgedrungen war, wollte er jetzt den Glauben verbreiten. Der Bischof begab sich zuerst nach Demmin, und von danach Usedom, wo der Slawenfürst Wartislaw einen allgemeinen Landtag der Pommern ausgeschrieben hatte. Auf diesem Landtage wurde beraten, ob der christliche Glaube jetzt für das ganze Pommernland angenommen werden sollte, da viele Slawenfürsten sich mit ihren Stammesältesten und ihrem Volk, bisher dagegen wehrten und ihrer Vielgötterei nicht absagen wollten. Aber nachdem Otto selbst mit ihren heidnischen Pfaffen gar herrlich disputiert hatte, ergaben sie sich alle darein, das Christentum anzunehmen. Ausschlaggebend war auch die beeindruckende Begleitung Otto von Bambergs, bestehend aus Rittern des Heiligen Ordens. Es war das erste Mal in der Geschichte der Kreuzritter, dass diese im hohen Norden Europas einen Geistlichen begleiteten.
Stolz hoch zu Ross präsentierten sich die Ritter mit der Standarte des Bischofs, bewusst ritt Otto von Bamberg ein weißes Streitross ähnlich dem heiligen weißen Pferd der Slawen.
Ein paar Tage nach dem Landtag zu Usedom zog Bischof Otto in Richtung des Ortes Wolgast, der zu diesem Zeitpunkt noch voll im Heidentum lag, um die dortigen Slawen zu bekehren.
Wolgast war ein slawischer Fürstensitz.
Mittelpunkt des Ortes war der oben schon erwähnte heilige Tempel, der auf einem Berg stand. Ringsherum gab es kleinere und größere Siedlungen, der Ort war vom Umfang her im frühen Mittelalter so groß wie die Stadt Wolgast heute. Ein heidnischer Priester des Tempels, dem es nicht gefiel, dass die Wolgaster nun Christen werden sollten nutzte den heidnischen Glauben der einfachen Bevölkerung.
Als das Gerücht im Ort seine Runde machte, dass Otto von Usedom zunächst nach Wolgast ziehen würde, begab er sich in der Nacht in einen dichten Busch im Walde Zitz auf der Insel Usedom, und zog sein weißes Priestergewand an.
Als nun früh morgens ein Ahnungsloser aus Wolgast vorbeikam, der Holz holen wollte, rief der Priester ihm mit rauer Stimme aus seinem Versteck im Unterholz zu: „Erhöre meine Worte, ich bin Jarowit euer heiliger Gott, der euch immer alles gibt, was ihr zum Leben bedürftet. Es kommen Fremde in unser Land, die bringen einen anderen Gott mit sich, deshalb höre Bauer, sage den Wolgastern, dass sie den neuen Gott nicht annehmen dürfen, auch seine Boten nicht zu Gaste nehmen, und wenn sie doch hineinkämen, sollen sie ihnen das Leben nehmen. Ich werde stets über euch wachen, wie ich es schon zur Zeiten eurer Ahnen tat.“ Damit macht sich der Priester eilends heimlich davon.
Der arme Bauer war sehr erschrocken, denn er glaubte wirklich, dass er den Gott selbst gesehen und gehört hätte. Er eilte nach Wolgast und verkündete den Siedlern, was geschehen war. Die glaubten ihm leichtgläubig. Und als nun der Pfaffe, der geschwind zur Stadt zurückgelaufen war, auch dazukam und sich stellend, als wisse er von nichts, ließ dieser sich den Vorfall vom heiligen Wald bei Zitz erzählen und erhob darüber ein großes Geschrei. Da fassten sie alle den Entschluss, wenn der Bischof oder einer seiner Gesellen in den Ort käme, so wollten sie stracks die Köpfe entzweischlagen.
Unterdessen hatte Bischof Otto zwei Priester, Namens Ulrich und Albinus, vorausgeschickt. Diese schlichen sich in die Stadt und begaben sich in das Haus des Wolgaster Fürsten (auf der damaligen Burg auf der heutigen Schlossinsel)
Der Fürst selbst befand sich vermutlich zu diesem Zeitpunkt auf dem Landtag zu Usedom. Als die Frau des Fürsten von ihnen erfuhr, dass sie Christen wären, erschrak sie sehr und erzählte ihnen, was die Bürger gegen sie beschlossen hätten, und bat sie, wieder umzukehren. Das wollten die Priester indessen aber nicht, weil der Bischof Otto bald kommen werde. Die Frau verbarg sie daher in ihrer Angst auf einem Heuboden.
Nicht lange danach kamen die ersten aus der Siedlung, welche schon erfahren hatten, dass zwei Christen zum Wohnsitz des Fürsten gegangen wären und begannen sie zu suchen, um sie zu erwürgen. Denen sagte aber die Frau, dass die Fremden wohl bei ihr gewesen, aber da sie sie nicht hätte beherbergen wollte, schon längst wieder aus Wolgast gegangen seien. Also wies sie die Bürger ab, und verbarg die beiden Priester, bis nach einigen Tagen der Bischof Otto mit dem Fürsten Wartislaw und ihrem großen Gefolge endlich ankam. Bischof Otto predigte nun den Wolgastern das Evangelium, weil unter dem Schutze des Fürsten und der stolzen Streitmacht, die Wolgaster Heiden ihm nichts anhaben konnten. Doch hatte er anfangs mit dem Predigen sehr wenig Erfolg, zum Wohlwollen der heidnischen Priester.
Da trug es sich eines Tages zu, dass einer aus seinem Gefolge allein hinausging, um den Ort und den heiligen Tempel heimlich zu besichtigen.
Wie er so spazieren ging und die Bürger das sahen, da liefen sie zusammen und sprachen unter sich: Seht da, da geht er und erspäht unseren heiligen Ort, wie diese Christen diesen unseren heiligen Tempel, abbrechen und niederreißen können. Sollen wir das einfach so hinnehmen? …. NEIN…. Also folgten sie wütend und mit Drohgebärden dem Christen in den Tempel, in welchen dieser bereits gegangen war, und umringten den Tempel und wollten über den Priester herfallen.
Aber ihr Glaube verbot ihnen, die heilige Stätte zu betreten. Da geriet der Gefolgsmann Ottos in großer Furcht und in seiner Verzweiflung ergriff er einen Schild, der in dem Tempel dicht bei dem Götzenbild vom Jarowit hing.
Dieses Heerschild war groß, wunderschön und komplett mit goldenen Blechen überzogen. Er gehörte dem Gott der Wolgaster. Es durfte ihn keiner anrühren, außer dem obersten Priester des Gottes und das nur in der Zeit, wenn es zum Streite (Krieg) kam. Mit diesem Heerschild schützte sich Ottos Gefolgsmann und lief damit zur Tür hinaus. Als dies die Wolgaster sahen, waren sie über den Frevel sehr erzürnt, dass ein Christ es wagte, den heiligen goldenen Schild des Gottes in seine Hand zu nehmen.
Aber sie waren sich uneinig und ließen von ihm ab, aus Furcht, selbst den Schild anzurühren und glaubten fest, der Gott Jarowit werde den Frevler Augenblicks selbst erschlagen. Dies geschah aber nicht und der Priester kam derweil mit großer Furcht, aber wohlbehalten zu dem Bischof zurück.
Nun fingen die Wolgaster untereinander an zu reden, sie begannen zu zweifeln, warum der große Jarowit diesen frevligen Christen nicht bestrafte?
Nachbildung des slawischen Tempels in Groß Raden
Es war der Beginn wo die hartnäckigen und stolzen Wolgaster den Glauben an ihre Götter verloren … und der Bischof hatte jetzt ein leichtes Spiel.
Demonstrativ begann der Bischof tags darauf mit eigener Hand den Tempel zu Wolgast mit all seinen Heiligtümern einzureißen, unterm Schutz der stolzen Kreuzritter und des slawischen Fürsten sowie seines bewaffneten Gefolges.
Er bekehrte die Tage darauf alle Wolgaster und auch deren Priester zu dem christlichen Glauben.
Zeichnung einer Kirche in Lubin, Insel Wollin. Hier ließ Otto von Bamberg 1128 eine Kirche zeitgleich mit der Wolgaster errichten.
Die Kirche in Lubin wurde im Gegensatz zu der Wolgaster tatsächlich von Archäologen gefunden und konnte somit rekonstruiert werden.
Noch vor seiner Abreise ließ der Bischof auf den Grundsteinen des Tempels und aus deren Hölzern eine Kirche errichten (siehe Abbildung)….
Es begann eine neue Zeit in dem damals so stolzen slawischen Ort Wolgast…
Anmerkung: „Was dieser Otto von Bamberg für ein Mensch war, resolut oder eher sanft, ob er vielleicht auch mal gelacht hat, all das muss wohl trotz aufwändigster Forschung über und unter der Erde im Dunkeln bleiben, keine Quelle beschreibt solche Alltäglichkeiten“, so der Archäologe Fred Ruchhöft.
Drei sogenannte „Heiligenviten“ über Otto von Bamberg wurden niedergeschrieben, allesamt durchweg reine Huldigungen.
(Text / Fotos: Kai Ottenbreit)